Purpose als Trumpf im Recruiting

Globale Krisen, die zunehmend digitalisierte (Arbeits-)Welt, aber auch ein gesteigerter Bildungs- und Wohlstand haben dazu geführt, dass Jobsuchende heute stärker nach ihrem Platz und “höheren Sinn” in der Gesellschaft suchen. In Zeiten des dauerhaften Fachkräftemangels stehen die Ansprüche der Mitarbeiter*innen im Vordergrund – laut dem aktuellen Stepstone Jobreport würden etwa mehr als die Hälfte der befragten Angestellten kündigen, wenn ein Job nicht ihren Bedürfnissen entspricht. Unternehmen geraten dementsprechend unter Druck, sich mit ihrem Purpose und gesellschaftlichem Auftrag zu beschäftigen. Kann Purpose-driven Recruiting neue Wege im War for Talents aufzeigen?

Definition: Purpose

Unter Corporate Purpose versteht man den übergeordneten Sinn oder Zweck eines Unternehmens, der unabhängig vom wirtschaftlichen Erfolg ist. Purpose-driven-Unternehmen zeigen ihre Verantwortung gegenüber der Gesellschaft durch nachhaltiges Handeln gegenüber der Umwelt, der sozialen Gemeinschaft und innerhalb der Arbeitsorganisation (Environmental Social Governance).

In der deutschen Übersetzung bedeutet Purpose unter anderem Zweck, Sinn, Grund oder Ziel. Die Frage nach dem “Sinn des Lebens”, sei es als Begründung der eigenen Existenz oder als Wegweiser für die Zukunft, beschäftigt die Menschheit schon seit den antiken Philosophen. Im Zusammenhang mit der Berufswelt strebt der “Corporate Purpose” oder der höhere Zweck eines Unternehmens mehr als persönliche Sinnerfüllung an. Purpose-Driven-Unternehmen orientieren sich nach dem WIR und fragen nach dem WARUM: Welchen übergeordneten Zweck verfolgen wir als Organisation und als Gesellschaft?

Abgrenzung von Corporate Purpose, Mission und Vision

Im Wald der HR-Buzzwords und Employer-Branding-Begriffe wird Corporate Purpose schnell in einen Topf mit “Vision”, “Mission Statement” oder “Unternehmensleitbild” geworfen.

Das wohl wichtigste Alleinstellungsmerkmal des “CP” ist, dass die unternehmerischen Werte und Ziele nicht mit Hinblick auf wirtschaftlichen Erfolg und Marktposition formuliert werden und der Wirkungsradius über Kund*innen, Stakeholder und Mitarbeiter*innen hinausgeht. Der nachhaltige Mehrwert steht auf allen Ebenen im Fokus, dabei orientieren sich viele Unternehmen etwa an den ESG-Kriterien der UN: Environmental (Umwelt, Ressourcenschonung), Social (Soziale Ebene, Menschenrechte) Governance (Unternehmensführung, Werte). In diesem Zusammenhang wird auch häufig von Corporate Social Responsibility (CSR) gesprochen, jedes Unternehmen sollte die eigene Verantwortung gegenüber der Gesellschaft wahrnehmen und auf nachhaltiges Wirtschaften achten.

Sinnsuche: Kann jeder Job sinnstiftend sein?

Aus der Werbung kennt man Purpose Statements wie “Wir sind im Geschäft, um unseren Heimatplaneten zu retten” (Patagonia) oder “Unsere Mission: Die Informationen dieser Welt organisieren und allgemein zugänglich und nutzbar machen” (Google). Große Worte, die sich die wenigsten Unternehmen tatsächlich auf die Fahnen schreiben können. Corporate Purpose darf nicht mit Weltrettungsfantasien oder unrealistischen “höheren” Zielen verwechselt werden. Wer “Jobs mit Sinn” als Recruiting-Trend oder Marketingstrategie versteht, läuft Gefahr “Purpose washing” zu betreiben und die Unternehmensreputation dabei aufs Spiel zu setzen.  Fakt ist: Nicht jedes Unternehmen kann die Welt retten und nicht jeder Job verfolgt einen höheren Sinn nach Definition der ESG-Kriterien. Sieht man Corporate Purpose aber als übergeordneten Sinn, der Unternehmen und Mitarbeiter*innen zusammenbringt und antreibt, kann sehr wohl jeder Job einen Purpose haben.

Zusammenhang von Employee Engagement und Purpose

Muss ein Beruf Purpose haben, damit die Mitarbeiter*innen engagiert und motiviert bleiben? In einer großen internationalen Studie zu “Employee Engagement” hat Stepstone die wichtigsten Antriebsfaktoren für berufliches Engagement identifiziert:

  • Möglichkeiten zur persönlichen Entwicklung und Weiterbildung (führt bei 51 Prozent der Befragten zu mehr Engagement)
  • Klare und positive Unternehmensvision (50 Prozent)
  • Purpose – Arbeit wird als “sinnvoll” empfunden (66 Prozent)
  • Job-Fit – gute Übereinstimmung zwischen den Anforderungen der Stelle und den persönlichen Fähigkeiten (64 Prozent)

Eine von Kienbaum durchgeführte Studie zu Purpose belegt, dass die Mitarbeiterzufriedenheit bei Purpose-getriebenen Unternehmen signifikant höher ist (bei 75 Prozent) und Angestellte, die ihre Tätigkeit als sinnstiftend wahrnehmen, ebenso zufriedener sind. Am stärksten wirkt sich der Corporate Purpose aber auf die Mitarbeiterbindung aus, die bis zu 63 Prozent stärker ausgeprägt ist als bei Unternehmen ohne CP.

Beide Studien fanden allerdings heraus, dass hiesige Unternehmen in Sachen Purpose noch Nachholbedarf haben: Fast die Hälfte der befragten Führungskräfte (Kienbaum) konnten ihrem Arbeitgeber keinen Purpose zuschreiben, während laut Stepstone nur eine*r von drei Angestellten ihre Tätigkeit als sinnstiftend empfinden – 25 Prozent der Befragten würden für einen “sinnvolleren” Job den Arbeitgeber wechseln.

Für Recruiter*innen bedeuten diese Ergebnisse, dass das Potenzial von Purpose in der Unternehmensentwicklung und vor allem im War for Talent noch längst nicht ausgeschöpft ist.

Purpose fit im Recruiting als Trumpf und Notwendigkeit

Im Purpose-Driven-Recruiting liegt der Fokus auf dem “Purpose Fit” der Bewerber*innen. Ähnlich wie beim Cultural Fit wird darauf geachtet, dass sich potenzielle Mitarbeiter*innen mit der Unternehmenskultur identifizieren, ebenso wichtig sind aber gemeinsame Werte und Ziele außerhalb des Unternehmens, wie etwa ethische Grundsätze oder ressourcenschonendes Verhalten. Letztendlich sind Teammitglieder, die aus eigenem Antrieb und innerer Überzeugung an etwas arbeiten, produktiver und tragen langfristig zum Unternehmenserfolg bei. Purpose und Wirtschaftlichkeit schließen einander nicht aus, im Gegenteil dazu kann “Jobrecruiting mit Sinn” viele Vorteile für Unternehmen bringen.

Sinnstiftende Arbeit – eine Generationenfrage?

In den Medien und HR-Kreisen wird viel davon gesprochen, dass die “Generation Z” Treiber der Nachhaltigkeitswende in der Arbeitswelt sind. Tatsächlich sind die jüngsten Generationen lautstarke Stimmen in der globalen Klimakrisen-Debatte. Wenn es um den Purpose im Job geht, ist dieser für junge Berufseinsteiger*innen allerdings weniger wichtig als gedacht, wie unsere Employee Engagement Studie belegt.

Während 58 Prozent der Unter-Dreißigjährigen Weiterbildung und -entwicklung im Job als entscheidende Faktoren bei der Arbeitgebersuche ansehen, steht für Arbeitnehmer*innen über 50 Jahren die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit im Zentrum (59 Prozent). Ein klares Signal für HR-Verantwortliche, die Bedürfnisse älterer Kandidat*innen ebenso ernst zu nehmen, da diese laut der Studie dazu tendieren, loyaler und engagierter zu sein als junge Kolleg*innen.

Wie kann man Purpose im Recruiting vermitteln? Best Practices und Tipps

Da Corporate Purpose eine multidimensionale Angelegenheit ist, muss auch Purpose-Driven-Recruiting differenziert vorgehen:

Definieren eines klaren Purpose

Dabei geht es nicht darum, breitspurige Nachhaltigkeitsziele zu forcieren, sondern das WARUM hinter Produkten bzw. Dienstleistungen, Kultur und Vision, Arbeitsweisen und Zukunftszielen des Unternehmens zu hinterfragen. Wie wird die Wirkung und Verantwortung gegenüber Kund*innen, Stakeholdern, Partner*innen und der Gesellschaft an sich wahrgenommen? Welche Ziele und Maßnahmen sind für die eigene Unternehmensgröße, Branche etc. realistisch?

Purpose Statement

Ein Purpose Statement zu formulieren kann helfen, um den übergeordneten Sinn klar und verständlich nach innen und außen zu kommunizieren – siehe die Beispiele zu Google und Patagonia. Wichtig ist, dass dieses Unternehmensversprechen von der Führungsebene vorgelebt wird und ganzheitlich in allen Strukturen umgesetzt wird. Google verpflichtet sich etwa, seinen Kund*innen Informationen transparent und kostenlos bereitzustellen, diese Transparenz spiegelt sich zudem in den flachen Hierarchien der Organisation und dem großen Weiterbildungsangebot für Mitarbeiter*innen.

Purpose in der Recruiting-Strategie verankern

In der Recruitingstrategie ist das Purpose Statement während der gesamten Candiate Journey zentral – vom ersten Touchpoint für Jobsuchende bis zum Onboarding. In Stellenanzeigen, im Employer Branding auf der Web- und Karriereseite, wie auch in der Presse und auf Social Media Kanälen sollte die Bandbreite des Corporate Purpose kommuniziert werden. Bei Stellenanzeigen können je nach Position und Zielgruppen bestimmte Aspekte herausgestrichen werden. Für IT-Fachkräfte sind Faktoren wie Social und Health Benefits oder gesellschaftsrelevante Arbeitsprojekte zum Beispiel besonders interessant. Für Jobsuchende im Servicebereich könnten die wertschätzende Arbeitsatmosphäre und der eigene Beitrag im Verbreiten der Purpose-Message im Zentrum stehen.

Mitarbeiter*innen involvieren

Besonders wirksam und authentisch in der Kommunikation des Unternehmenspurpose sind die Mitarbeiter*innen selbst – ob in Marketingvideos, auf Fachtagungen oder im partizipativen Recruitingprozess. So zeigen Sie, wie involviert und engagiert die Teammitglieder sind und geben einen Einblick auf die individuelle Perspektive auf den “Job mit Sinn” sowie den Purpose im Arbeitsalltag.

Purpose-fit im Recruitingprozess

Im Vorstellungsgespräch sollten weniger fachliche Erfahrungen abgeklopft werden, stattdessen rücken verhaltens- und situationsorientierte Fragen in den Mittelpunkt. Welche ethischen Bewertungen und sozialen Verhaltensweisen legen Bewerber*innen in bestimmten Situationen an den Tag? Wie wirkt sich ihre Persönlichkeit auf Arbeitsweisen oder Teamdynamik aus? Was wünschen sich Kandidat*innen für die Zukunft  – beruflich und gesellschaftlich?

Beispiele für Purpose-Driven-Unternehmen

The Stepstone Group setzt sich dafür ein, dass Menschen besser arbeiten. Wir eröffnen Menschen die Möglichkeit, in großartigen Teams zu arbeiten und Unternehmen, die richtigen Talente zu finden. Gerade jetzt, wo die Arbeiterlosigkeit zur Norm wird, wird unsere Mission wichtiger denn je – „to find the right job for everyone.“ Das ist nicht nur ein Ziel, es ist eine Verantwortung, die unsere Führungskräfte tragen: Sicherzustellen, dass dieser starke Purpose in der Organisation widerhallt und jeden Mitarbeiter jeden Tag aufs Neue erreicht.

Natalie Matalon, Chief People Officer (CPeO) der Stepstone Group

Bei Stepstone wird Purpose durch partizipative Prozesse geformt und im Kern der täglichen Arbeit verankert. Inklusivität, persönliches Wachstum und der spürbare Beitrag des Einzelnen zum größeren Ganzen sind Grundpfeiler im Vermitteln und Leben des gemeinsamen Purpose.

Ein bekanntes Beispiel für eine Purpose-Driven-Organisation ist wie bereits erwähnt der Outdoor-Bekleidungshersteller Patagonia. Hier steht “Weltrettung” nicht nur drauf, sondern wird vom Produkt bis zu jeder Handlungsebene im Unternehmen weitergetragen. Aus dem Selbstverständnis heraus, das Outdoor Produkte nur nützlich sind, wenn das “Outdoor” – unsere Umwelt – erhalten bleibt, wird in Produktion, Transport und Funktionalität der Ware auf Ressourcenschonung und faire Arbeitsprozesse geachtet. Der nachhaltige Purpose geht bei Patagonia Hand in Hand mit Aktivismus, wenn etwa politische Arbeit gegen Klimawandel-Leugner geleistet wird oder Teile des eigenen Profits an Umweltschutzgruppen gespendet werden.

Autorin: Barbara Oberrauter-Zabransky
Bildnachweis: www.eyeem.com / Kay Fochtmann

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