
Ghosting im Recruiting: Ursachen und Maßnahmen gegen den Kontaktabbruch
Im Zeitalter des Online-Datings ist es schon vielen Menschen passiert: Man lernt jemanden kennen, trifft sich ein paar Mal und von einem Tag auf den anderen bricht die andere Person den Kontakt ohne Erklärung oder offensichtlichen Grund ab. Vom sogenannten “Ghosting” Betroffene bleiben gekränkt und voller offener Fragen auf der Strecke. Ein Verhalten, das leider auch zunehmend bei der Jobsuche und im Recruiting auftritt.
- Was bedeutet Ghosting im Recruiting?
- Gründe für Ghosting im Recruiting
- Die neue Machtposition der Bewerber*innen am Arbeitsmarkt
- Digitale Kommunikation schafft Distanz
- Schlüsselfaktor Candidate Journey
- Überforderung und mangelhafte HR-Prozesse
- Konsequenzen von Job-Ghosting
- So beugen Sie Ghosting im Recruiting vor
- 1. Direktes Feedback einholen und interne Prozesse analysieren
- 2. Candidate Journey planen und verbessern
- 3. Employer Branding gezielt einsetzen
- 4. Wertschätzung zeigen und Anreize geben durch Pre-Boarding
- 5. Talentpool und alternative Personalsuche
- Ghosting im Recruiting: Ein Verlust für alle Beteiligten
Was bedeutet Ghosting im Recruiting?
HR-Verantwortliche berichten von Bewerber*innen, die nach der Einladung zum Vorstellungsgespräch ohne Vorwarnung nicht zum Termin erscheinen oder sogar nach Unterschreiben des Arbeitsvertrags am ersten Tag im Job nirgends aufzufinden sind. Aber auch der umgekehrte Fall, ein Ghosting vonseiten des potenziellen Arbeitgebers, ist keinesfalls eine Seltenheit. Im Schnitt warten die Befragten fast zwei Wochen auf eine Antwort der Personaler*innen. Noch schlimmer ist es, wenn bereits mehrere Bewerbungsphasen und Gespräche absolviert wurden, aber die finale Zu- oder Absage des Arbeitgebers niemals erfolgt.
Gründe für Ghosting im Recruiting
Ghosting kann mit einem Film oder Buch verglichen werden, deren Geschichte ein offenes Ende hat – statt eine klare Auflösung zu bekommen, muss man eigene Schlüsse ziehen. Im Recruiting führt dies schnell zu Spekulation oder falscher Schuldzuweisung, die Gründe für das “offene Ende” können aber vielfach und teils recht simpel sein.
Die neue Machtposition der Bewerber*innen am Arbeitsmarkt
Der Stepstone Jobreport 2023 stellt fest, dass die “Arbeiterlosigkeit” und der “War for Talents”, befeuert vom Fachkräftemangel und der “Great Resignation”, einen massiven Wandel am aktuellen Arbeitsmarkt bewirkt haben. Das Machtgefüge hat sich zugunsten der Jobsuchenden verschoben, 62 Prozent stufen die eigenen Chancen am Jobmarkt als gut oder sehr gut ein. Das neue Selbstbewusstsein der von vielen Recruiter*innen umkämpften Talente kann dazu führen, dass diese im Bewerbungsprozess das Interesse verlieren und sich beim weniger attraktiven Arbeitgeber schlicht nicht mehr melden.
Digitale Kommunikation schafft Distanz
Der Begriff Ghosting kam nicht aus Zufall mit dem Phänomen Online-Dating auf – die digitale Kommunikation mach es leichter, mit vielen parallelen Optionen gleichzeitig im Gespräch zu sein. Auf der anderen Seite schafft das Gespräch per Chat oder E-Mail eine gewisse Distanz, die das Ignorieren unbequemer Entscheidungen, wie etwa die Absage eines Job-Interviews, leichter macht. Neben Bequemlichkeit oder Konfrontationsangst kann auch die schiere Informationsflut im digitalen Recruiting, etwa in Form von mehrfachen Personaler*innen-Anfragen, als Stressfaktor wahrgenommen und in Folge verdrängt werden.
Schlüsselfaktor Candidate Journey
Vielen Recruiter*innen ist zu wenig bewusst, dass das Suchen und Binden von beruflichen Talenten nicht mit der Einladung zum Bewerbungsgespräch oder mit dem Interview abschließt. Die Candidate Journey beginnt beim ersten Kontaktpunkt mit dem Unternehmen und endet nach der Einarbeitung, transparente und regelmäßige Kommunikation ist ein Schlüsselfaktor für eine positive Erfahrung seitens der Kandidat*innen. Wenn die HR-Abteilung schlecht erreichbar ist, mit Antworten lange auf sich warten lässt oder nicht über Zwischenschritte im Bewerbungsprozess informiert, droht früher oder später der Kontaktabbruch seitens der Bewerbenden. Unternehmen mit einem schlechten Ruf in diesem Bereich müssen sogar mit Ghosting als Racheakt oder Trotzreaktion rechnen.
Überforderung und mangelhafte HR-Prozesse
Allzu oft stecken hinter dem scheinbar boshaften Kommunikationsabbruch schlicht menschliches Versagen oder fehlerhafte Systeme. Wenn HR-Verantwortliche etwa mit der Flut an Bewerbungen überfordert sind und nicht über Unterstützung durch hilfreiche HR-Tools oder Mitarbeiter*innen verfügen, bleibt keine Zeit für persönliche Kommunikation.
Auch eine mangelhafte Kommunikation zwischen Personaler*in und Führungskraft kann zu Fehlern und Frustration führen. Eventuell wurde die ausgeschriebene Position in der Zwischenzeit bereits besetzt oder gestrichen und der Bewerberpool wird aus Versehen nicht informiert.
Konsequenzen von Job-Ghosting
Unabhängig davon, warum der Kontakt im Bewerbungsprozess plötzlich abgebrochen wird, wirkt sich solch ein Verhalten negativ auf beide Seiten aus. Beim Ghosting-”Opfer” können Aufklärungsbedarf, Verwirrung, Enttäuschung ausgelöst werden, was bei Bewerber*innen etwa ein vermindertes Selbstbewusstsein oder das Hinterfragen der eigenen Bewerbungsleistung bedingt. Auch Recruiter*innen suchen den Fehler mitunter in der eigenen Kommunikation oder Gesamtstrategie.
So oder so entsteht ein zusätzlicher Zeitaufwand und je weiter im Bewerbungsprozess der Kontaktabbruch erfolgt, umso teurer kann es besonders für Unternehmen werden. Denn Ghosting kommt nicht nur bei wenig erfahrenen Berufseinsteiger*innen, sondern in allen Alters- und Karrierestufen vor.
Darüber hinaus kann der Ruf der Bewerbenden oder des gesamten Unternehmens in gewissen Branchen, speziell bei vermehrtem Ghosting, dauerhaft geschädigt werden. Man weiß zudem nie, wer einem in ferner Zukunft wieder begegnet und über den eigenen beruflichen Weg entscheiden könnte.
So beugen Sie Ghosting im Recruiting vor
Da die Gründe für Ghosting meist im Dunkeln bleiben, ist es schwierig direkt dagegen vorzugehen. Wenn diese Erfahrung vermehrt auftritt, können Sie allerdings an einigen zentralen Stellen ansetzen und dabei gleichzeitig den gesamten Bewerbungsprozess optimieren.
1. Direktes Feedback einholen und interne Prozesse analysieren
Der erste Schritt zur Besserung besteht darin, den Bewerbungsprozess in jeder Stufe zu überprüfen: Wäre es an bestimmten Stellen im Prozess gut, Kommunikation anzubieten oder kann die Candidate Journey von Beginn an transparenter gestaltet werden? Sammeln Sie konkrete Fragen und richten Sie diese an zukünftige und vergangene Bewerber*innen bzw. die eigene Belegschaft. Auch regelmäßige Gespräche mit der HR-Abteilung sind essenziell, um mögliche Überforderungen abzufedern oder organisatorische Mängel festzustellen. Ebenso haben Bewerber*innen die Möglichkeit bei der Personalabteilung um ehrliches Feedback anzufragen oder nach längeren Wartezeiten nachzuhaken, noch besser als ein höfliches E-Mail ist hierbei ein Anruf bei der direkten Ansprechperson.
2. Candidate Journey planen und verbessern
Die Perspektive der Bewerber*innen zu kennen, ist für die Gestaltung einer erfolgreichen Candidate Experience von großer Bedeutung. Folgende Prinzipien sollten in der gesamten Kommunikation mit Kandidat*innen beachtet werden:
- Anforderungen und Bewerbungsschritte so transparent wie möglich kommunizieren.
- Fristen und Zeiträume von Bewerbungsphasen sowie Entscheidungen ankündigen.
- Vermeiden Sie lange Reaktions- und Wartezeiten in der Kommunikation.
- Wickeln Sie wichtige Gespräche im Prozess persönlich ab und kreieren Sie Möglichkeiten, das Unternehmen und Team vor wie auch während der Bewerbungsphase näher kennenzulernen.
- Schaffen Sie Vertrauen durch regelmäßigen Austausch und ermöglichen Sie verschiedene Wege, um Fragen stellen zu können.
- Jeglicher Austausch, ob schriftlich oder im direkten Gespräch, sollte freundlich und wertschätzend sein. Denken Sie daran, dass Ihr Gegenüber ein Mensch ist, der Zeit und Aufwand in den Prozess steckt bzw. Nervosität oder Druck verspürt.
3. Employer Branding gezielt einsetzen
Die Arbeitgebermarke ist für die interne sowie externe Bewertung des Unternehmens durch Personal und Bewerber*innen maßgeblich. Wer als fairer Arbeitgeber mit einer freundlichen und modernen Unternehmenskultur bekannt ist, wird mehr Jobsuchende anlocken und diese auch im Bewerbungsprozess halten. Auf jeglichen Kommunikationskanälen, von der Webseite bzw. Karriere-Page bis zum professionellen Instagram-Auftritt, sollten die Unternehmenswerte, Benefits und sonstige Faktoren, die Sie als Arbeitgeber attraktiv machen, gezeigt werden. Das Motto lautet hierbei: authentisch, transparent und persönlich kommunizieren. Mitarbeiter*innen sind dabei die effektivsten Markenbotschafter*innen.
4. Wertschätzung zeigen und Anreize geben durch Pre-Boarding
Die Zeit zwischen Zusage und erstem Arbeitstag kann, je länger sie andauert, zur Ghosting-Falle werden. Darum sollten Sie versuchen, schon vor Arbeitsantritt eine Beziehung zu Bewerber*innen aufzubauen und durch Anreize eine Vorfreude auf den Job zu generieren. Pre-Boarding kann auf unterschiedlichen Wegen erfolgen, etwa durch ein Willkommensvideo mit Botschaften des Teams, einen im Vorfeld verschickten Onboarding-Guide oder einen Kennenlern-Event im Vorhinein.
5. Talentpool und alternative Personalsuche
Da Ghosting oder kurzfristige Absagen nicht vollkommen zu umgehen sind, ist es immer gut über alternative Optionen zu verfügen. So können Sie etwa über eine Bewerbermanagementsoftware einen Talentpool anlegen, um auf Kandidat*innen zurückzugreifen, die sich etwa für eine andere Stelle beworben hätten oder in der Zwischenzeit die notwendigen Qualifikationen erlangt haben. Es lohnt sich, mit vergangenen Bewerber*innen durch Social Media Updates oder Newsletter in Verbindung zu bleiben. Auch direkte persönliche Kontakte über Mitarbeiterempfehlungen oder Teammitglieder, die sich umorientieren möchten, beugen Ghosting über anonyme digitale Kanäle vor.
Ghosting im Recruiting: Ein Verlust für alle Beteiligten
Fazit: Ghosting im Recruiting ist mehr als nur eine kurzlebige Modeerscheinung, es ist ein Symptom einer Arbeitswelt im Wandel. Es spiegelt die Machtverschiebung am Jobmarkt sowie den Einfluss der Digitalisierung wider. Während 90 Prozent der Recruiter*innen den schmerzlichen Kontaktabbruch bereits erlebt haben, kennen auch viele Jobbewerber*innen die Funkstille aus der anderen Perspektive nur allzu gut.
Die gute Nachricht? Man kann dem Ghosting durchaus entgegensteuern. Ein Blick hinter die Kulissen des eigenen Bewerbungsprozesses, offene Kommunikation und ein bisschen Empathie können bereits Wunder wirken. Letztlich geht es darum, menschliche Interaktionen auch in einer immer digitaleren Welt aufrechtzuerhalten. Denn ob im privaten oder beruflichen Kontext: Jeder verdient eine Antwort. Und wer weiß, vielleicht ist gerade diese Antwort der Schlüssel für die nächste erfolgreiche berufliche Beziehung.
Autorin: Barbara Oberrauter-Zabransky
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