Blind Hiring: Weniger Vorurteile, mehr Fairness im Recruiting?

In der heutigen, zunehmend vielfältigen und dynamischen Arbeitswelt stehen Unternehmen vor der Herausforderung, talentierte Mitarbeiter zu finden, die nicht nur über die erforderlichen Fähigkeiten verfügen, sondern auch eine breite Palette von Hintergründen und Perspektiven einbringen.

In diesem Kontext gewinnt das Konzept des “Blind Hiring” zunehmend an Bedeutung. Das anonyme Bewerbungsverfahren schafft eine gerechtere und objektivere Rekrutierung. Es erlangte daher, unter anderem als Reaktion auf anhaltende Anliegen hinsichtlich Vorurteilen und Diskriminierung im Einstellungsprozess, in letzter Zeit verstärkte Aufmerksamkeit.

Worauf die innovative Rekrutierungspraxis genau abzielt, welche Vorteile sie für Firmen und Arbeitssuchende hat und welche potenziellen Herausforderungen das Verfahren birgt, erfahren Sie in diesem Artikel.

Was ist Blind Hiring?

Beim Blind Hiring oder Blind Recruiting handelt es sich um einen Rekrutierungsansatz, der darauf abzielt, Vorurteile und Diskriminierung im Einstellungsprozess zu reduzieren, indem persönliche Informationen wie Name, Geschlecht, Alter, ethnische Zugehörigkeit und Bildungshintergrund der Bewerber während der ersten Bewertungsphasen anonymisiert werden. Das Ziel ist es, Kandidaten ausschließlich aufgrund ihrer Fähigkeiten, Erfahrungen und Leistungen zu bewerten, unabhängig von persönlichen Merkmalen, die potenziell zu Vorurteilen führen könnten. Blind Hiring kann durch verschiedene Methoden umgesetzt werden, einschließlich anonymisierter Lebensläufe, standardisierter Bewertungskriterien und strukturierter Interviews, die sich ausschließlich auf berufsbezogene Fähigkeiten konzentrieren.

Die Wichtigkeit von Diversität am Arbeitsplatz

Anonyme Bewerbungsprozesse allein können leider nicht alle Formen von Vorurteilen beseitigen, aber es ist ein Schritt in Richtung einer gerechteren und inklusiveren Rekrutierungspraxis. Schließlich ist die Bedeutung von Diversität und Inklusion am Arbeitsplatz immens wichtig. Eine vielfältige Belegschaft, die unterschiedliche Hintergründe, Perspektiven und Erfahrungen einbringt, fördert Innovation, Kreativität und Problemlösungskompetenz. Darüber hinaus trägt eine inklusive Unternehmenskultur dazu bei, Mitarbeiterbindung und -zufriedenheit zu steigern, was wiederum die Produktivität und Leistungsfähigkeit des Unternehmens steigert.

Der traditionelle Bewerbungsprozess: Hemmschwelle für Diversität im Unternehmen?

Im traditionellen Bewerbungsprozess ist es zugegeben oftmals schwierig, unabhängige und faire Beurteilungen zu treffen. Eine große Herausforderung hierbei ist sicherlich die unbewusste Voreingenommenheit, die dazu führen kann, dass Entscheidungsträger subjektive Einschätzungen aufgrund persönlicher Vorlieben oder Stereotypen treffen.

Darüber hinaus können bestimmte Merkmale wie Name, Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit oder Bildungshintergrund unabsichtlich zu Vorurteilen führen und die objektive Bewertung der Fähigkeiten und Qualifikationen eines Bewerbers beeinflussen. Eine Studie aus dem Jahr 2003 vom US-amerikanischen National Bureau of Economic Research zeigte beispielswiese, dass Bewerber mit afroamerikanischen Namen signifikant weniger Rückrufe für Bewerbungen erhielten als Personen “mit weißen Namen”.

Der Fokus auf traditionelle Bewerbungsunterlagen wie Lebensläufe und Anschreiben kann zudem dazu führen, dass relevante Fähigkeiten oder Erfahrungen übersehen werden, wenn sie nicht explizit aufgeführt sind. Diese Hindernisse im herkömmlichen Bewerbungsprozess unterstreichen die Notwendigkeit eines alternativen Ansatzes, um Vorurteile zu minimieren und mehr Diversität und Inklusion sicherzustellen.

Wo führt Blind Recruiting bereits zum Erfolg?

Blind Recruiting wird weltweit von Unternehmen in verschiedenen Ländern angewendet, wobei der Grad der Umsetzung und der Erfolg je nach regionalen Gegebenheiten und kulturellen Unterschieden variiert. Länder wie die USA, Kanada, Großbritannien, Australien sowie einige europäische Länder haben Blind Hiring in verschiedenen Branchen und Organisationen eingeführt und getestet.

Unternehmen wie IBM und Deloitte in den USA haben den Ansatz eingeführt, um die Vielfalt ihrer Belegschaft zu erhöhen. IBM anonymisiert beispielsweise Bewerbungen in den frühen Stadien des Auswahlprozesses, um Vorurteile zu minimieren. Auch in Großbritannien kommt dies zur Anwendung. Die BBC setzt beispielsweise auch auf anonymisierte Bewerbungsverfahren, um sicherzustellen, dass Kandidaten ausschließlich aufgrund ihrer Fähigkeiten ausgewählt werden. In Kanada bietet das Ministerium für Diversität und Inklusion sogar Leitlinien und Ressourcen für Organisationen, die Blind Hiring implementieren möchten.

Die Ergebnisse verschiedener Studien unterstreichen die Wirksamkeit von anonymisierten Bewerbungsverfahren wie Blind Recruiting bei der Förderung von Chancengleichheit und Vielfalt am Arbeitsplatz: Zum Beispiel fanden schwedische Forscher 2012 heraus, dass mehr Frauen und ethnische Minderheiten zu Vorstellungsgesprächen eingeladen wurden, wenn ihre Bewerbungen anonymisiert waren.

Die Vorteile von Blind Recruiting

Blind Recruiting hat demnach viele verschiedene Vorteile. Einerseits fördert es die Diversität und Inklusion in Unternehmen, indem es zur Reduzierung von unbewussten Vorurteilen beiträgt, die Chancengleichheit für alle Bewerber erhöht und durch die Beurteilung der Kandidaten ausschließlich aufgrund ihrer Fähigkeiten und Erfahrungen auch dafür sorgt, die besten Talente unabhängig von persönlichen Merkmalen zu identifizieren. Folglich können so ein vielfältiges und hochqualifiziertes Team aufgebaut und Fehlentscheidungen im Bewerbungsprozess minimiert werden.

Doch nicht nur für das Unternehmen hat Blind Hiring Vorteile. Auch die Mitarbeiter profitieren von dieser Methode. Sie trägt nämlich nachweislich zur Steigerung der Zufriedenheit bei, dasie ein Gefühl der Wertschätzung und Fairness vermittelt, höheres Engagement und Motivation bedingt und eine verbesserte Unternehmenskultur fördert.

Blind Hiring und seine Herausforderungen

Die Umstellung des Bewerbungsprozesses auf Blind Hiring bringt natürlich auch einige Herausforderungen mit sich. Einerseits muss die Anonymisierung von Bewerbungsunterlagen, die Entwicklung neuer Interviewmethoden und die Schulung der Mitarbeiter gewährleistet werden, was einen erhöhten Zeitaufwand innerhalb des Unternehmens bedeutet.

Zudemgibt es häufig Bedenken hinsichtlich der Praktikabilität dieser neuen Herangehensweise. Viele befürchten, dass die besten Kandidaten möglicherweise übersehen werden, insbesondere bei der Beurteilung von Soft Skills, die möglicherweise schwieriger zu erkennen sind, wenn persönliche Informationen anonymisiert werden.

Letztlich könnte die Einführung von Blind Hiring auch zu Skepsis gegenüber der neuen Methode, Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen auf die Unternehmenskultur und der generellen Angst vor Veränderung seitens der Führungskräfte und/oder Mitarbeiter führen. Es ist daher wichtig, diese Herausforderungen anzuerkennen und Strategien zu entwickeln, um sie zu überwinden.

Erfolgsfaktoren für Blind Hiring

Im Rahmen von Best Practice Beispielen im Bereich des Blind Hiring gibt es somit bestimmte Schlüsselelemente, die den Erfolg dieser Methode fördern können.

  • Zunächst ist eine klare Definition der Anforderungen für die jeweilige Stelle von entscheidender Bedeutung. Dies beinhaltet die Festlegung der erforderlichen Qualifikationen und Fähigkeiten, die für die Position unerlässlich sind.
  • Ein weiterer wichtiger Schritt ist die Entwicklung eines strukturierten Interviewprozesses. Dies umfasst die Verwendung standardisierter Fragen und Bewertungskriterien sowie den Einsatz mehrerer Interviewer, um eine umfassendere Bewertung der Bewerber zu ermöglichen.
  • Darüber hinaus ist die Schulung der Mitarbeiter ein entscheidender Aspekt bei der erfolgreichen Implementierung von Blind Recruiting. Durch Sensibilisierung für unbewusste Vorurteile und die Vermittlung von Techniken zur objektiven Beurteilung von Bewerbern können Mitarbeiter dazu befähigt werden, faire und gerechte Entscheidungen zu treffen.
  • Nicht zuletzt ist eine offene Kommunikation von großer Bedeutung. Dies beinhaltet die transparente Darstellung des Blind-Recruiting-Prozesses sowie die Bereitschaft, Fragen und Bedenken seitens der Mitarbeiter offen zu diskutieren und zu beantworten. Durch die Umsetzung dieser bewährten Praktiken können Unternehmen sicherstellen, dass Blind Hiring effektiv angewendet wird und dazu beiträgt, Vorurteile zu minimieren und die Vielfalt am Arbeitsplatz zu fördern.

Mit Blind Recruiting zu einer vielfältigeren und zufriedeneren Belegschaft

Blind Hiring steht als innovativer Ansatz im Fokus, um die Diversität und Inklusion im Recruiting-Prozess zu fördern. Trotz seiner zahlreichen Vorteile bringt dieses Konzept auch Herausforderungen mit sich, die Unternehmen angehen müssen.

Eine klare Definition der Anforderungen, ein strukturierter Interviewprozess, Schulungen für Mitarbeiter zur Sensibilisierung für Vorurteile sowie eine offene Kommunikation sind entscheidende Elemente, die den Erfolg von Blind Hiring unterstützen können. Durch diesen Ansatz können Unternehmen am Ende nicht nur bessere Einstellungsentscheidungen treffen, sondern auch die Mitarbeiterzufriedenheit steigern und eine vielfältigere und inklusivere Arbeitsumgebung schaffen.


Autorin: Barbara Oberrauter-Zabransky
Bildnachweis: istock/Adene Sanchez

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