Bias im Recruiting – Vorurteile im Recruiting vermeiden

Auch wenn sie oftmals unbewusst auftreten – Vorurteile beeinflussen Entscheidungen im Recruiting. Egal ob es sich dabei um Vorurteile in Bezug auf Geschlecht, Alter, Herkunft, Religion, Ethnie, Beruf oder Ausbildung handelt: Ein Bias im Bewerbungsprozess kann zu weniger Diversität und damit auch zu weniger Innovationskraft im Unternehmen führen. Wir verraten Ihnen, wie Sie Vorurteile im Recruiting erkennen und haben 8 Tipps wie man unbewusste Vorurteile vermeiden kann.

Definition: Was sind Unconscious Bias?

Unter Unconscious Bias versteht man Vorurteile, Stereotype sowie generalisierte Erwartungen und Vorstellungen über eine Gruppe. Es handelt sich dabei um eine kognitive Verzerrung, die unbewusst (engl. “unconscious“) und aufgrund fehlerhafter Informationsverarbeitung auftritt.  

Die Problematik daran ist, dass wir oftmals zwar denken, Entscheidungen rational und objektiv zu treffen, diese jedoch trotzdem sehr subjektiv sind, weil uns diese Vorurteile gar nicht bewusst sind. Auch im Recruiting kommt es immer wieder vor, dass unsere Vorurteile bei Personalentscheidungen mitschwingen und uns unbewusst beeinflussen. Hier spricht man auch vom sogenannten Interviewer-Bias. Dass Vorurteile auftreten, liegt daran, dass unser Gehirn oftmals in Schubladen denkt, um komplexe Sachverhalte schneller einordnen zu können. Dabei kommt es häufig dazu, dass uns ähnliche Menschen sympathischer sind als jene, zu denen wir größere Unterschiede aufweisen.  

Wenn wir ehrlich sind, geht es uns allen so: Niemand lebt sein Leben komplett ohne Vorurteile. Es gibt durchaus auch Situationen, in denen sie auch hilfreich sind, wenn es beispielsweise um die schnelle Verarbeitung von großen Informationsmengen geht. Es geht also nicht darum, sich schlecht zu fühlen, nicht vorurteilsfrei zu sein. Vielmehr ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass uns Vorurteile manchmal daran hindern können, objektiv richtige Entscheidungen zu treffen. Im Recruiting kann sich das durchaus negativ auswirken, denn wir wissen einerseits, dass diverse Teams besser performen, dass wir aber andererseits aufgrund unserer Vorurteile zu Kandidat*innen tendieren, die uns ähneln. Daher müssen wir uns bewusst über Bias hinwegsetzen. 

Beispiele für Unconscious Bias 

Vorurteile können auf Grund vieler Merkmale entstehen, sei es Geschlecht, Alter, Religion, Aussehen, Herkunft, Weltanschauungetc. Beispiele aus dem Recruiting wären, wenn man unbewusst ältere Bewerber*innen als weniger leistungsfähig einstuft, die Arbeitsleistung von Frauen unbewusst geringer einschätzt und sie deshalb seltener befördert werden oder ein geringeres Gehalt bekommen, wenn die Hautfarbe Einfluss auf den Auswahlprozess hat oder eine Behinderung etc.  

Welche Arten von Bias im Recruiting gibt es? 

Genderbias

Beim Genderbias geht es um die Vorurteile, die sich im Geschlecht einer Person begründen, also geschlechtsbezogene Wahrnehmungen und Einstellungen, die unbewusst und automatisch bestehen. Wenn wir beispielsweise einem Mann mehr Kompetenz zuschreiben als einer Frau (ohne dies auf Fakten stützen zu können), dann kann von einem Genderbias gesprochen werden. Aber auch, wenn wir stereotyp Frauen oder Männern andere Eigenschaften zuweisen und diese mit der Ausübung des Jobs in Verbindung bringen.  

Altersstereotype 

Bei Altersstereotypen geht es darum, dass man von einer Altersgruppe auf bestimmte Attribute und Eigenschaften schließt bzw. Personen in unterschiedlichen Altersstadien anders einschätzt. 

Räumliche Bias

Hierbei geht es um Vorurteile, die ortsgebunden sind, beispielsweise die Menschen, die in einer bestimmten Stadt, einer gewissen Region oder Land leben bzw. auch den Unterschied zwischen Stadt und Land. Auf Grund des Herkunftsmerkmals werden Personen bei diesem Bias bestimmte Eigenschaften oder Charakteristika zugeschrieben. 

Religiöse Stereotype 

Wenn wir mit Menschen verschiedene Charakteristika verknüpfen, weil sie einer bestimmten Religion angehören, dann sprechen wir von religiösen Vorurteilen. Dies gilt zudem auch für verschiedene Weltanschauungen und Glaubensrichtungen. 

Ethnische Vorurteile 

Diese Art von Bias fundiert auf dem Merkmal der Ethnie bzw. dem Kulturkreis, dem Menschen angehören und mit dem wir oftmals bestimmte Eigenschaften (unbewusst) verbinden. 

Berufliche Stereotype 

Bei den beruflichen Stereotypen wird Menschen auf Grund ihres Jobs ein gewisses Verhalten bzw. gewisse Eigenschaften zugeschrieben. Dies kann auch damit zusammenhängen, dass mit dem jeweiligen Beruf ein gewisses Einkommen, Ausbildungsgrad und Verantwortung in Verbindung gebracht wird. 

Wie wirkt der Bias im Recruiting? 

Auch wenn uns bewusst ist, dass es verschiedene Arten von Bias gibt, ist es nicht immer leicht, die Vorurteile im Recruiting abzulegen. Da vieles auf unbewusster Ebene abläuft, ist es uns häufig gar nicht bewusst, dass unsere Entscheidungen von Vorurteilen verzerrt werden. Hier gibt es mehrere Effekte und Varianten, wie Stereotype uns bei der Entscheidungsfindung lenken: 

Correspondance Bias 

Darunter versteht man, dass man die Ursache für ein beobachtetes Verhalten in der Person und dessen Charaktereigenschaften sieht und nicht in den Merkmalen der Situation. Ein Beispiel hierfür wäre, wenn eine Person beim Vorstellungsgespräch sehr viel kichert und von den Interviewer*innen daher angenommen wird, dass es sich um eine Person handelt, die nichts so wirklich ernst nimmt und kindisch ist, anstatt nach der Ursache zu suchen, dass das Verhalten vielleicht eine Art ist, mit Nervosität im Bewerbungsgespräch umzugehen. Werden die situationsbedingten Faktoren ausgeblendet, kann es sehr leicht sein, dass man automatisch davon ausgeht, dass jemand immer genau so reagiert, weil das seinem Charakter entspricht und dadurch falsche Schlüsse zieht, ob jemand für eine Position geeignet ist oder nicht.

Confirmation Bias 

Der Confirmation Bias, oder auch Bestätigungsfehler genannt, ist ein Bias Effekt, bei dem Informationen  so selektiert oder interpretiert werden, dass sie zu den eigenen Erwartungen passen. Beispielsweise liest ein Recruiter im Lebenslauf, dass eine Bewerberin ein Auslandssemester an einer Eliteuniversität absolviert hat und geht daher davon aus, dass sie bestens qualifiziert für den Job ist. Diese Annahme wird dann im Interview „bestätigt“, da sich der Recruiter so darauf fokussiert bzw. das Gesagte jeweils so selektiert und interpretiert, dass es zur bereits vorab gefertigten Meinung passt. 

Belief Perseverance 

Unter der Belief Perseverance (auf Deutsch: Beharren auf Überzeugungen) versteht man, hartnäckig auf einer ersten Hypothese zu beharren, obwohl man bereits neue Informationen gewonnen hat, die dieser Hypothese widersprechen. Dabei ist es egal, auf Grund welcher Art von Bias die erste Hypothese getroffen wurde, das Urteil über die Person steht damit bereits fest und hat so gut wie keine Chance mehr, sich noch zu ändern. 

Repräsentativitätssheuristik 

Darunter versteht man, dass man jemanden danach bewertet, wie sehr er*sie einem bestimmten Prototypen entspricht. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn im Bewerbungsprozess jemand für eine Position im Sales deswegen ausgewählt wird, weil “er*sie aussieht wie ein*e Verkäufer*in” und nicht deshalb, weil die Person die entsprechenden Qualifikationen und Kompetenzen mitbringt. 

Clustering Illusion 

Hierbei handelt es sich um eine Neigung, in großen Datenmengen Muster zu sehen, selbst wenn es diese gar nicht gibt. Ein einfaches Beispiel für dieses Bias aus dem Recruiting wäre, wenn man einige Bewerbungen von Männern aus einer gewissen Stadt gesichtet hat und keiner dieser Bewerber die nötige Berufserfahrung mitgebracht hat und daraus dann den Schluss zieht, Bewerbungen von Männern aus dieser Stadt gar nicht mehr lesen zu müssen, weil sie vermutlich alle ähnlich wenig Berufserfahrung aufweisen. Dieser Bias wird dann als gegeben angenommen, ohne den Bewerbern im Einzelnen eine Chance zu geben bzw. ihren Lebenslauf überhaupt noch durchzulesen, um diese Annahme zu verifizieren oder gegebenenfalls falsifizieren.  

Status Quo Bias 

Darunter versteht man, dass Personen den aktuellen Status quo gegenüber Veränderungen bevorzugen. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn immer wieder dieselben Entscheidungen im Recruiting getroffen werden, weil andere Entscheidungen eine Veränderung mit sich bringen würden.  

Halo-Effekt 

Beim Halo-Effekt handelt es sich um eine kognitive Verzerrung, bei der von einer bekannten Eigenschaft einer Person auf eine unbekannte geschlossen wird. Ein kurzes Beispiel: Recruiter A findet die Bewerberin B sympathisch. Recruiter A findet generell Menschen sympathisch, die in stressigen Situationen Ruhe ausstrahlen können und damit andere Menschen beruhigen können. Der Halo-Effekt würde hier bedeuten, dass Recruiter A der Bewerberin B auf Grund der Sympathie auch diese beruhigende Wirkung auf andere in stressigen Situationen zuschreibt, ohne dafür ein Indiz zu haben. Dieser Effekt kann sowohl mit positiven Attributen auftreten (Heiligenschein-Effekt), als auch mit negativen (Teufelshörner-Effekt).

Folgen von Unconscious Bias im Recruiting 

Diversität ist nicht umsonst in der Arbeitswelt eines der wichtigsten Schlagworte der letzten Jahre. Im Diversity Management wird die Vielfalt im Unternehmen als Erfolgsfaktor großgeschrieben. Und das aus einem guten Grund: Diversität im Unternehmen macht Arbeitgeber attraktiv und diverse Teams arbeiten oftmals besser, da durch die unterschiedlichen Perspektiven bessere Lösungen entwickelt werden können, die langfristig die Performance steigern. Diverse Teams machen Unternehmen zudem innovativer, weil unterschiedliche Lebenserfahrungen, Meinungen und Ideen aufeinandertreffen. Wenn Recruiter*innen nicht offen für Diversität sind bzw. sich nicht bewusst sind, dass ihre Entscheidungen durch einen Unconscious Bias beeinflusst werden, werden im Bewerbungsprozess häufiger dieselben Entscheidungen getroffen und bestimmte Personengruppen unbewusst ausgeschlossen.  

Ein weiterer negativer Effekt von Unconscious Bias ist, dass der Talente Pool unnötig kleiner gehalten wird, als das notwendig wäre. Vor allem in Zeiten des Fachkräftemangels und der Arbeitskräfteverknappung, wo immer mehr Firmen unter langen Vakanzzeiten leiden, kann ein Überwinden von Vorurteilen auch dazu führen, mehr Talente am Arbeitsmarkt wahrzunehmen, die früher aus den unterschiedlichsten Gründen ausgeschlossen wurden. Nicht zuletzt sind hier ältere Beschäftigte, berufstätige Mütter oder Menschen mit Behinderung zu nennen.  

8 Tipps: Wie kann man unterbewusste Vorurteile vermeiden? 

  • Bias erkennen: Der erste Schritt zur Besserung ist bekanntlich die Einsicht. Wenn uns nicht bewusst ist, dass es ein Problem gibt, können wir auch nichts an der Situation verändern. Daher ist es zunächst wichtig, sich die Vorurteile bewusst zu machen und immer wieder aktiv zu hinterfragen, wieso wir Entscheidungen treffen – ganz egal ob im Recruiting oder bei anderen Tätigkeiten. 

  • Schulungen und Trainings: Vorurteile schleichen sich meist heimlich und leise ein, sie sind uns in den wenigsten Fällen bewusst. Hier können Schulungen und Trainings helfen, sie aufzuspüren bzw. Entscheidungen und Sachverhalte mal aus einer anderen Perspektive zu sehen und die eigenen Muster zu reflektieren. 

  • Inklusive Stellenausschreibungen: Inklusion und Fairness im Recruiting beginnen bei der Stellenanzeige. Damit der Bewerbungsprozess nicht bereits mit Vorurteilen startet und sich gewisse Personengruppen gar nicht erst bewerben, sollten Sie darauf achten, bei Ihren Stellenanzeigen auf Inklusion zu setzen. Richtiges Gendern, das alle Geschlechter inkludiert (m/w/d), ist dafür ein absolutes Muss. 

  • Unterstützung durch datenbasierte Programme: Im HR können zudem auch die Auswahlprozesse standardisiert werden, indem datenbasierte Programme zur Unterstützung herangezogen werden. 

  • Objektive Bewertungskriterien: Legen Sie vorab bestimmte Kriterien fest, anhand derer Sie die Bewerber*innen bewerten möchten. So können Sie vorab eine Liste anfertigen, und all jene Bewerber*innen, die die darauf notierten Kriterien erfüllen, kommen in die nächste Runde. 

  • Blind Hiring: Eine weitere Möglichkeit, um Vorurteile im Recruiting zu vermeiden ist das sogenannte Blind Hiring. Wenn von den eingetroffenen Bewerbungen die persönlichen Informationen wie Name, Alter und Geschlecht entfernt werden und dazu auch noch das Foto, können für die Vorselektion lediglich jene Informationen herangezogen werden, auf die es für die Ausübung der Stelle ankommt: die Berufserfahrung und Berufsausbildung.  

  • Mehrere Entscheidungsträger: Wer alleine eine Entscheidung trifft, wird eher von seinen Vorurteilen geleitet als jemand, der mit anderen zusammen dieselbe Entscheidung treffen muss. Wenn Sie das Bewerbungsgespräch nicht alleine führen, sondern auch Kolleg*innen hinzuziehen (aus der Personalabteilung bzw. aus der jeweiligen Fachabteilung, für die jemand gesucht wird), erhalten Sie ein vielfältigeres Bild der Bewerber*innen und dadurch auch eine objektivere Entscheidung, die nicht vorrangig von Vorurteilen geleitet wird. 

  • Reflexion: Hinterfragen Sie sich selbst immer wieder. Niemand ist perfekt. Sie werden nicht von heute auf morgen alle Vorurteile hinter sich lassen. Daher ist es wichtig, immer wieder selbst zu reflektieren und kritisch zu hinterfragen, wo Sie noch weiter an unbewussten Vorurteilen zu arbeiten haben. 

Autorin: Beatrix Mittermann
Bildnachweis: istockphoto.com / PixelsEffect

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