
Recruiting im Gastgewerbe: Wie Hotellerie und Gastronomie dem Personalnotstand trotzen
„Dieser Bereich ist wegen Personalmangels geschlossen!“ Wer im Jahr 2023 ein Restaurant betritt, wird seit der Corona-Pandemie immer häufiger Schilder wie dieses lesen. Inmitten der Diskussion um den Fachkräftemangel ist die Hotellerie und Gastronomie omnipräsent. Kein Wunder: Laut Wirtschaftskammer Österreich fehlen in der österreichischen Tourismusbranche rund 30.000 Arbeitskräfte.
Auch im Bereich der Ausbildung ist seit Jahren ein kontinuierlicher Rückgang zu verzeichnen. Besuchten 2010 noch 10.778 Schülerinnen und Schüler die 28 Tourismusschulen in ganz Österreich, waren es 2020 nur noch 8.023 – ein Minus von rund 20 Prozent. Das erhöht den Druck auf eine Branche, die von engagierten Servicekräften lebt – und macht gleichzeitig deutlich, wie wichtig erfolgreiches Employer Branding und Mitarbeiterbindung in Zeiten wie diesen sind.
Wachsende Nachfrage und steigende Löhne: Österreichs Gastgewerbe im Aufwind
Im Jahr 2022 waren österreichweit rund 46.000 Stellen im Gastgewerbe ausgeschrieben. Im Vergleich zum Pandemiejahr 2021 ist das ein Plus von satten 60 Prozent. Dieser Trend setzt sich auch 2023 fort: Im ersten Quartal dieses Jahres ist die Nachfrage in Gastronomie und Hotellerie mit einem Plus von 40 Prozent im Vergleich zum 1. Quartal des Vorjahres noch einmal enorm gestiegen.
Rund 230.000 Beschäftigte arbeiten derzeit in Österreichs Gastronomie und Hotellerie. Die gute Nachricht: Anfang Mai wurden die Gehälter im Kollektivvertrag um durchschnittlich 9,3 Prozent erhöht, um die außergewöhnlich hohe Inflationsrate und die massiven Kostensteigerungen aufzufangen. Besonders stark angehoben wurden auch die Mindestlöhne für ungelernte Arbeitskräfte und die Lehrlingsentschädigungen – auch um wieder mehr Nachwuchs zu gewinnen, wie die Wirtschaftskammer Österreich betont.
Lehrstellenboom und Drop-Out-Rate im Tourismus
Das Rezept scheint aufzugehen: Die jüngste Lehrlingsstatistik der Tourismus- und Freizeitwirtschaft verzeichnet ein beeindruckendes Plus von mehr als 55 Prozent bei den Lehrlingen im ersten Lehrjahr. Damit gibt es sogar mehr Lehranfänger als vor der Corona-Pandemie – und auch die Gesamt-Zahl der Lehrlinge im Tourismus steigt.
Dennoch ist nicht alles eitel Sonnenschein – vor allem, weil viele Lehrlinge nach dem Abschluss nicht im Beruf bleiben. So beträgt die Drop-Out-Quote laut einer Studie der Universität Wien bei Restaurantfachfrauen und -männern in den vergangenen Jahren 51 Prozent, bei Köchinnen und Köchen immerhin noch 40,7 Prozent. Kritisiert werden laut Studie vorwiegend prekäre Beschäftigungsverhältnisse, schlechte Arbeitsbedingungen und eine nicht existenzsichernde Entlohnung.
Moderne Arbeitsbedürfnisse im Gastgewerbe
Der größte Jobreport Österreichs – mit kostenlosem Download Auch der Stepstone-Jobreport 2023 zeigt, dass Work-Life-Balance und Flexibilität Menschen heute wichtiger ist denn je. Angesichts der starken Nachfrage sind die Fachkräfte im Hotel- und Gaststättengewerbe in einer besseren Position als je zuvor – Arbeitgeber tun also gut daran, sich an modernen Bedürfnissen zu orientieren.
Laut der Studie sind den Fachkräften folgende Punkte besonders wichtig:
- Work-Life-Balance: 77 Prozent ist eine gute Work-Life-Balance wichtig.
- Skills: 63 Prozent der Österreicher*innen sind Weiterbildungsmöglichkeiten im Job (sehr) wichtig.
- Gehalt: 50 Prozent wünschen sich 2023 mehr Gehalt
- Flexibilität: 38 Prozent möchten 2023 mehr Flexibilität im Job
Auf Seiten der Recruiter*innen spiegeln sich die veränderten Bedingungen in sorgenvollen Gesichtern der Personalverantwortlichen wider. Gilt es doch, die – mehr als verständlichen – Wünsche qualifizierter Servicekräfte mit den spezifischen Arbeitsbedingungen, die eine Tätigkeit in dieser Branche mit sich bringt, in Einklang zu bringen.
Laut der aktuellen Stepstone Recruiterstudie 2023 sind die größten Sorgen und Herausforderungen innerhalb der Branche:
- Arbeits- und Fachkräftemangel (60%)
- Talente mit gefragten Fähigkeiten und Skills finden (60%)
- Mitarbeiter*innen halten und begeistern (56%)
- den wachsenden Anforderungen (New Work, flexibles Arbeiten, etc.) gerecht werden (44%)
- passive Kandidat*innen erreichen & ansprechen (33%)
Spürbar sind die Auswirkungen des Fachkräftemangel schon jetzt. Die Unternehmen merken es hauptsächlich durch die Mehrbelastung des bestehenden Personals (67%), Stellen bleiben unbesetzt (61 %) was zur Folge hat, dass die Mitarbeiterzufriedenheit sinkt – das spüren heute 50 Prozent der befragten Unternehmen.
Neben dem aktuellen Arbeits- und Fachkräftemangel besteht die größte Herausforderung für Personalverantwortliche derzeit darin, Talente mit gefragten Fähigkeiten und Skills zu finden. Zudem sind sie gefordert, Mitarbeiter*innen zu halten und zu begeistern – und müssen den wachsenden Anforderungen nach New Work und flexiblen Arbeitszeiten gerecht werden.
Personalnotstand und Unzufriedenheit im Team
Hinzu kommt, dass während der zahlreichen Lockdowns der letzten Jahre und den damit verbundenen Schließungszeiten viele Fachkräfte massiv in benachbarte Branchen abgewandert sind – und teilweise wenig Interesse an einem Wiedereinstieg in den Service zeigen. Die Ansprache passiver Kandidat*innen steht daher bei vielen Recruiter*innen ebenfalls ganz oben auf der To-do-Liste.
Doch auch wer noch ausreichend Personal an Bord hat, spürt die Auswirkungen des Fachkräftemangels: Stellen bleiben lange unbesetzt, bestehende Mitarbeiter*innen leiden unter Mehrbelastung. Damit sinkt auch die Zufriedenheit der Mitarbeiter*innen – jedes zweite Unternehmen gibt an, dass die eigene Belegschaft unzufrieden ist.
Es stellt sich daher die Frage, welche Lösungsansätze es für ein erfolgreiches Recruiting im Gastgewerbe gibt – und wie dies vor dem Hintergrund der viel zitierten Arbeiterlosigkeit gelingen kann.
Die Recruiting-Offensive: So gewinnen Unternehmen den Kampf um Talente
Mitarbeiterbindung, Weiterbildung und Employer Branding: Tatsächlich verfügen Österreichs Recruiter*innen über zahlreiche Werkzeuge, um dem Fachkräftemangel in ihrer Branche zu begegnen. Wir haben die fünf wichtigsten Trends identifiziert, mit denen Unternehmen in der Gastronomie und Hotellerie 2023 dem Fachkräftemangel trotzen.
- Mitarbeiter*innen binden durch gute Bezahlung
Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel: Gerade in der Gastronomie können Beschäftigte oft nicht von ihrem Einkommen leben. Laut Arbeitsklima Index der Arbeiterkammer Oberösterreich geben zwei von drei Beschäftigten im Gastgewerbe schon vor der explodierenden Teuerungswelle an, dass sie von ihrem Einkommen nicht oder nur knapp leben können.
Kein Wunder: Das Bruttomedianeinkommen in der Gastronomie liegt mit 33.320 Euro im Jahr gut 30 Prozent unter dem oberösterreichischen Medianeinkommen, zeigt der Stepstone-Gehaltsreport. Angesichts der höchsten Inflation seit 70 Jahren verschärft sich die Situation noch einmal massiv.
Wer dringend Personal sucht, sollte daher tiefer in die Tasche greifen – auch wenn es weh tut. Denn: Das Gehalt ist für Kandidat*innen immer noch einer der wichtigsten Faktoren, wenn es um einen Jobwechsel geht. Wer hier mehr bietet, hat die Nase vorn.
- Mitarbeiter motivieren mit flexiblen Arbeitszeiten
Wir schreiben das Jahr 2023. Corona hat die Popularität von flexiblen Arbeitszeiten und der 4-Tage-Woche noch einmal deutlich erhöht. Auch an Gastronomie und Hotellerie geht der Trend zu New Work nicht spurlos vorbei: Mitarbeitende wünschen sich einen Dienstplan, der Rücksicht auf ihre privaten Verpflichtungen nimmt und ihnen auch mal Zeit zum Durchschnaufen lässt.
Dennoch wird vor allem in Gastronomie und Hotellerie immer noch Kritik laut, zeigt die Studie der Universität Wien: Angeprangert werden unter anderem geteilte Dienste, regelmäßige Wochenendarbeit, häufige Überstunden, zu kurze Ruhezeiten und die Erwartung der
Arbeitgeber, ständig verfügbar zu sein. Das beeinträchtigt nicht nur die Lebensqualität der Beschäftigten massiv, auch die Vereinbarkeit von Beruf und Betreuungspflichten ist nahezu unmöglich.
Wer neues Personal finden und vor allem halten will, sollte sich daher an den Lebensumständen seiner Mitarbeiter*innen orientieren: Muss die Teilschicht wirklich sein oder lässt sich der Tag vielleicht auch anders gestalten? Können körperlich anstrengende Arbeiten besser verteilt werden? Hören Sie Ihren Mitarbeitenden zu und gehen Sie – wenn möglich – auf individuelle Bedürfnisse ein.
- Mitarbeiter*innen weiterbilden
Die Gastronomie und Hotellerie bietet optimale Voraussetzungen für Quereinsteiger*innen: Learning on the job und ständige Weiterbildung erweitern das Reservoir an verfügbaren Kandidat*innen und sorgen für loyale Mitarbeiter*innen, die lange im Unternehmen bleiben.
Arbeitgeber der Branche sollten sich daher fragen, wie wichtig harte Faktoren wie eine abgeschlossene Ausbildung, Branchenerfahrung, Alter oder perfekte Deutschkenntnisse wirklich sind. Vieles davon kann unter Umständen durch ausreichende Motivation und Lernbereitschaft ausgeglichen werden. Statt sklavisch am Lebenslauf festzuhalten, lohnt sich hier ein Blick hinter die Fassade – und auf den einzelnen Menschen.
- Mitarbeitermarke auf- und ausbauen
In der öffentlichen Wahrnehmung haben Jobs im Hotel- und Gaststättengewerbe oft einen schlechten Ruf. Schlechte Bezahlung, unmenschliche Arbeitszeiten und cholerische Chefs sind für viele Mitarbeiter ein Grund, sich in sozialen Medien und im Freundeskreis Luft zu machen. Doch wie in jeder Branche gibt es auch hier Menschen, die gerne im Gastgewerbe arbeiten und mit Leib und Seele dabei sind.
Als Arbeitgeber ist es mittlerweile fast schon Pflicht, diese Menschen vor den Vorhang zu holen – und den Kandidat*innen und Bewerber*innen zu zeigen, dass die Arbeit mit und für den Gast viel Schönes und Freude bieten kann. Gerade bei der Generation Z, für die sinnstiftende Arbeit ganz oben auf der Prioritätenliste steht, kann das Gastgewerbe mit Vielfalt und Abwechslung punkten und neue Freundschaften und wertvolle zwischenmenschliche Kompetenzen ermöglichen.
Auch wer Gästen eine angenehme Atmosphäre schaffen und ihren Aufenthalt unvergesslich machen möchte, ist in dieser Branche gut aufgehoben. Nicht zuletzt ermöglicht das Gastgewerbe als international ausgerichtete Branche, in verschiedenen Ländern und Umfeldern zu arbeiten und wertvolle interkulturelle Erfahrungen zu sammeln.
- Die Vielfalt der Mitarbeiter*innen nutzen
Gerade das Gastgewerbe kann Menschen jeden Alters, jeder Herkunft, jeden Geschlechts und jeder körperlichen Fähigkeit einen Platz bieten. Der Clou: Gerade im Kundenkontakt ermöglicht Diversität eine individuellere Betreuung und schafft Vertrauen bei Kund*innen aus verschiedenen Kulturen und Hintergründen. Überdies kann Diversität zu mehr Kreativität und Innovation führen, mit der sich Unternehmen optimal an veränderte Marktbedingungen anpassen können.
Beweise, dass ein solcher Ansatz gelingen kann, gibt es hierzulande bereits: So bildet etwa das magdas Hotel in Wien Menschen mit Fluchthintergrund zu professionellen Gastgeber*innen aus. Das „Obenauf“ in Unternalb bei Retz bietet Menschen mit intellektueller Behinderung Arbeit, Weiterbildung und Einkommen. Und das Wesenufer Hotel an der Donau bietet Menschen mit psychischen und psychosozialen Beeinträchtigungen sinnstiftende und somit gesundheitsfördernde und inklusive Beschäftigungsmöglichkeiten. Für den Erfolg eines solchen Ansatzes ist es entscheidend, dass Arbeitgeber eine inklusive und offene Unternehmenskultur schaffen, in der sich alle Mitarbeiter*innen wertgeschätzt fühlen und ihr volles Potenzial entfalten können. Arbeitgeber, die das Potenzial einer vielfältigen und diversen Belegschaft erkennen, werden nicht nur mit einer Lösung für den Fachkräftemangel belohnt, sondern auch mit einem motivierten Team, das den Kunden auf Augenhöhe begegnen kann.
Unser Tipp zum Schluss: Mitarbeiter*innen finden – auf allen Kanälen
Wie überall im Leben gilt auch bei der Personalsuche im Gastgewerbe: Wer nicht sucht, wird nicht (erfolgreich) finden. Werden Sie also selbst aktiv und bewerben Sie Ihr Unternehmen als Arbeitgeber. Mit Stellenanzeigen, einer eigenen Recruiting-Landingpage, Social-Media-Anzeigen – aber gerne auch mit kreativen Aktionen. Ob Stellenanzeige auf dem Bierdeckel oder Flashmob auf dem Stadtfest – lassen Sie Ihrer Fantasie freien Lauf. Plakate aufhängen kann schließlich jeder.
Autorin: Corina Drucker
Bildnachweis: istock/Dejan_Dundjerski