Zwischen Jobboom und Great Resignation
Zwei Jahre Pandemie, der Jobmarkt boomt, Arbeitskräfte sind gefragt wie nie. Doch wie stellt sich die Lage aufseiten der Beschäftigten dar? Wie nehmen sie den Wandel zum Bewerbermarkt wahr und was bedeutet das für Unternehmen?
Der aktuelle StepStone Jobreport zeigt: Der Jobboom führt hierzulande zu höherer beruflicher Zufriedenheit, jedenfalls in den boomenden Branchen, aber auch zu höherer Kündigungsbereitschaft. Im Schnitt sieht allerdings nur jede*r Zweite für sich gute Chancen am Jobmarkt. Selbst in den 2021 am stärksten gefragten Berufsgruppen unterschätzen Beschäftigte ihren Marktwert.
Jeder Sechste kündigt
Laut aktuellem Arbeitsklimaindex der Arbeiterkammer denkt jede*r vierte Berufstätige über einen Jobwechsel nach. Ganz konkret ist diese Absicht laut repräsentativer Befragung von StepStone im Jänner bei rund 16 % der Beschäftigten, die angeben, erst kürzlich Job gewechselt zu haben oder konkret vorhaben, in naher Zukunft zu kündigen.
Überdurchschnittlich hoch ist die Kündigungs- und Wechselbereitschaft
- bei jungen Menschen unter 30 (28 %)
- Bei boomenden Berufsgruppen, für die verhältnismäßig viele Jobs zur Verfügung stehen, wie etwa Marketing/PR/Werbung (39 %)
- sowie in Branchen mit besonders schlechten Jobaussichten: Beschäftigte in Hotellerie/Gastronomie etwa schätzen ihre Chancen am Arbeitsmarkt derzeit am schlechtesten ein, von ihnen haben 29% erst kürzlich den Job gewechselt oder vor, demnächst zu kündigen.
Für StepStone Österreich Geschäftsführer Nikolai Dürhammer aber eher ein Indiz für aufgestaute Kündigungsabsichten als für die „Große Kündigungswelle“:
„Ja, wir sehen in Österreich wieder eine höhere Kündigungs- und Wechselbereitschaft und Unternehmen müssen es ernst nehmen, wenn sich Kündigungen häufen. Aber dass in Österreich die große Kündigungswelle wie in den USA droht, das sehe ich aktuell nicht. Aufgrund der unsicheren Lage hatten die Menschen bis vor kurzem einfach andere Prioritäten, als den Jobwechsel und Wechselwünsche nicht ausgelebt – diese haben sich sozusagen aufgestaut. Mit dem aktuellen Jobboom löst sich das jetzt auf.“
Beschäftigte unterschätzen ihren Marktwert
Wird der eigene Marktwert als hoch eingeschätzt, motiviert das zum Jobwechsel: Doch dieses Gefühl ist (noch) nicht so ausgeprägt. Nur etwa die Hälfte der Befragten (54 %) nimmt die eigenen Chancen am Arbeitsmarkt als sehr gut oder eher gut wahr, wobei Männer ihre Chancen am Arbeitsmarkt tendenziell als besser einschätzen als Frauen. Auch jüngere Menschen haben – dem eigenen Gefühl nach – bessere Chancen am aktuellen Jobmarkt als ältere Personen.
„Vergleicht man die Nachfrage nach Arbeitskräften 2021 mit der Selbsteinschätzung der Beschäftigten wirkt es so, als stünde das in keinem Zusammenhang, oder als käme diese Erkenntnis zeitverzögert,“ so Corina Drucker, Studienleiterin und Pressesprecherin von StepStone Österreich. „Auch in den besonders gefragten Branchen 2021 wie Technik- und IT, Vertrieb oder im Handel schätzen die Beschäftigten ihre Jobchancen nicht so gut ein, wie man meinen könnte – noch nicht jedenfalls.“
So zum Beispiel in der Berufsgruppe Verkauf (Einzelhandel): Obwohl die Anzahl der Jobausschreibungen mittlerweile wieder über dem Vor-Corona-Niveau liegt, denken nur 11 % der Beschäftigten, dass sie sehr gute Chancen am Markt hätten. 23 % sind sogar der Meinung, ihre Chancen am Jobmarkt seien derzeit (sehr) schlecht. „Allerdings hat sich diese Branche nur langsam vom ersten Covid-Schock erholt: Erst Ende 2021 lag die Anzahl der Jobs im Einzelhandel wieder auf Vor-Corona-Niveau. Die Verbesserung dürfte hier wohl erst langsam bei den Beschäftigten spürbar werden“, so Drucker.
Work-Life-Balance ist wichtiger, als den Job zu behalten
Laut der repräsentativen Befragung im Jänner möchten 76 % der Österreicher*innen künftig im Homeoffice arbeiten, und zwar mehrere Tage pro Woche. 73 % sagen, dass ihnen eine gute Work-Life-Balance während der Pandemie wichtiger geworden ist. Zum Vergleich: “Den Job zu behalten ist mir wichtiger” sagen nur 64%.
Wer will remote arbeiten?
- 76 % Männer
- 77 % Frauen
- 34 % möchten etwa die Hälfte ihrer Tätigkeit im Homeoffice ausüben
- 31 % wollen 1-2 Tage von zuhause arbeiten
- 24 % arbeiten lieber vom Büro aus
Zwei von drei Beschäftigten sind zufrieden, Marketing am zufriedensten
Die Entwicklung der vergangenen Monate sorgt grundsätzlich für mehr Zufriedenheit bei den Beschäftigten. Zwei Drittel der Österreicher*innen (66 %) sind zufrieden mit ihrer beruflichen Situation. Angestellte sind zufriedener: 71 % der Angestellten, aber nur 55 % der Selbstständigen sind sehr oder eher zufrieden.
Beschäftigte im Gesundheitswesen (Ärzt*innen, Pfleger*innen, Arzthelfer*innen) zählen zu den unzufriedeneren Berufsgruppen. Am unzufriedensten sind die Beschäftigten im Verkauf (Einzel- und Großhandel).
Die mit Abstand glücklichsten Berufsgruppen sind Marketing, PR, Werbung gefolgt vom Personalwesen. Diese Jobs wurden 2021 stärker nachgefragt als alle anderen – die Anzahl der ausgeschrieben Jobs ist in beiden Berufsgruppen im Vergleich zum Jahr davor um jeweils 60 % gestiegen.
„Diese Berufsgruppen erleben jetzt, was in vielen Branchen bald Realität wird: Den Wandel zum Bewerbermarkt. In Österreich nimmt der Anteil der Erwerbsbevölkerung in Zukunft ab, Arbeitskräfte werden stärker gefragt. Das ist eine angenehme Situation für Beschäftigte, denn sie können ihre Bedürfnisse leichter einfordern. Für Unternehmen bedeutet das: Zeit für einen Mind Shift. Um als Unternehmen am Jobmarkt bestehen zu können, muss man alte Glaubensätze niederreißen und neue entwickeln, wie etwa: Die Unternehmen müssen sich bei den Kandidat*innen bewerben, nicht umgekehrt.“
Über den StepStone Jobreport 2022
Der aktuelle StepStone Jobreport beleuchtet den Impact von Covid-19 auf den österreichischen Arbeitsmarkt. Für die vorliegende Studie wurden im Jänner 2022 repräsentativ für Österreich 2.058 Personen durch die Marktforschungsagentur MindTake im Auftrag von StepStone befragt. Mit einfließen auch die aktuellen Zahlen zu Fachkräftebedarf und ausgeschriebenen Stellen, erhoben durch die Personalmarktforscher von index Research im Auftrag von StepStone, die laufend alle in 22 Printmedien und 35 Jobbörsen für den “StepStone Fachkräfteatlas“ ausgeschriebene Stellenanzeigen in ganz Österreich erfassen.
Weitere Zahlen und Grafiken zum StepStone Jobreport
Autorin: Corina Drucker
Bildnachweis: iStock/Nuthawut Somsuk