„Gehaltsverhandlungen im Jobinterview haben ausgedient“

Bewerbungscoach und 2-fache LinkedIn Top Voice Selma Kuyas im Interview zum Thema Gehaltsverhandlungen im Jobinterview. Warum es sowohl für Unternehmen als auch für Bewerber*innen lukrativer ist, das Thema Gehalt schon vorweg transparent zu halten.

 

Auf LinkedIn sprechen Sie sich klar gegen Gehaltsverhandlungen im Jobinterview aus. Warum?

Ganz klar, weil es ist so: Für jede Stelle, die ausgeschrieben wird, ist der Stellenbesetzungsprozess vordefiniert. Somit ist konkret und klar, was da alles passiert. Da wird ein Budget geschaffen für einen Stelle. Dann wird das Ganze ans Recruiting übergeben, danach die Rahmenbedingungen festgesetzt. Einerseits, was braucht der*die Kandidat*in an Skills? Welche Persönlichkeit passt ins Team? Und natürlich auch, wie viel darf es kosten?

Diese Range ist von vornherein fix. Ich verstehe nicht, warum wir keine Transparenz über diesen Prozess an den Tag legen können – bereits in der Stellenanzeige. Denn es geht so viel Lebenszeit verloren für beide Parteien, wenn nicht gleich klar ist, wovon wir hier sprechen – von welchem Gehalt wir hier reden. Wenn das erst im 2. oder 3. Jobinterview angesprochen wird und so diametral auseinanderliegt, dann ist der Frust auf beiden Seiten programmiert.

Einerseits demotiviert das die Kandidat*innen, weil sie ganz viel Zeit in die Bewerbung gesteckt haben. Andererseits auch den*die Recruiter*in, weil der*die genauso viele Arbeitsstunden in den Sand gesetzt hat. Die Kandidat*innen zu suchen, die CVs zu screenen, die Bewerber*innen zu interviewen. Warum also nicht schon viel früher aufzeigen, worum es gehaltstechnisch geht?

 

Ist hierbei ein Gehaltsrahmen ausreichend oder sollten Unternehmen den Weg dorthin auch transparenter offenlegen?

Also es ist sicher nicht möglich einen Fixbetrag für das Gehalt anzugeben. Weil jede*r Kandidat*in bringt natürlich ein anderes Skills-Set mit, andere Erfahrung und da darf es auch Spielraum geben. Wo man sagt: „Okay, der*die hat mehr Erfahrung oder konnte mehr Erfolge vorweisen, oder hat diese Ausbildung absolviert. Das ist auch etwas wert.“ Daher ist eine Gehaltsspanne das Mindeste, was angegeben werden sollte.

Ich persönlich finde es super fair, wenn alle gleich viel verdienen würden. Ich habe selbst einmal in einem Unternehmen gearbeitet, wo jeder gleich viel verdient hat. Das hat ganz viel Entspannung in das Zwischenmenschliche zwischen den Teamkolleg*innen gebracht. Damit wurden schon viele Dinge abgefedert, die es gibt, wenn es in der Unternehmenskultur verschiedene Gehaltsstufen gibt.

 

Hat der Gender Pay Gap mit mangelndem Verhandlungsgeschick zu tun?

Ja, ich glaube, dass der Gender Pay Gap besonders mit den Gehaltsverhandlungen zu tun hat. Weil wir Frauen nicht unbedingt dieses Verhandlungsgen in uns tragen. Wenn wir im Jobinterview sind, möchten wir ein harmonisches Gespräch führen. Wir möchten nicht in die Konfrontation und tendieren deshalb dazu, uns zurückzunehmen, um den Weg der anderen zu ermöglichen. Wir geben schneller klein bei, anstatt zu sagen, nein, ich habe mir da was ganz anderes vorgestellt. Ich habe viele Kursteilnehmer*innen bei mir im Bewerbungskurs und ich höre es immer wieder, dass nicht übers Gehalt gesprochen wird. Es kommt zum 1. Interview, sogar zum 2. Interview und dann ist dieser „cringe“ Moment im Raum, weil: Recruiter*in sagt 80.000, Kandidat*in möchte 100.000.

Was sind 4 Vorteile von Gehaltstransparenz im Jobausschreibung?

Ich habe das Gefühl, qualitativ hochwertigere Bewerbungen. Denn das Gehalt ist schon ein Ausschluss- oder Entscheidungskriterium. Das heißt, wenn das Unternehmen sagt, für diese Stelle zahlen wir maximal 70.000, dann bewerben sich vielleicht nur noch 10 oder 50 Personen. Steht das nicht drinnen, bewerben sich wahrscheinlich 300 Leute. Zusammengefasst sind die Vorteile:

  1. qualitativ hochwertige Bewerbungen
  2. Das Unternehmen spart sich Geld, weil die Qualität der Bewerbungen viel besser ist.
  3. Der Stellenbesetzungsprozess könnte verkürzt werden, weil eben nicht so eine Masse an unpassenden Bewerbungen reinkommt.
  4. Das würde zum Arbeitgeber-Image passen. Das Employer Branding würde gestärkt werden. Denn Menschen fühlen sich magisch angezogen von Unternehmen, die transparent, fair sowie wertschätzend sind und dazu unkomplizierte Bewerbungsprozesse haben. Dazu gehört für mich eben diese Gehaltstransparenz mit rein. Es gehört für mich zur wertschätzenden Candidate Experience und zu einem zeitgemäßen Bewerbungsprozess dazu.

 

Was könnten die Gegenargumente seitens Unternehmen sein? Was sind die Gründe dafür, warum das viele Unternehmen nicht machen?

Das ist sicherlich, um potenzielle Kandidat*innen nicht abzuschrecken, die sich dann nicht bewerben. Denn, wenn am Anfang eine Gehaltstransparenz festgesetzt ist, dann sage ich mir beispielsweise, ich werde nichts unter 100.000 annehmen, aber die Stelle ist nur mit 80.000 dotiert. Wenn ich es sehe, werde ich mich nicht bewerben. Aber wenn ich es nicht sehe, weiß ich nicht, was drinnen ist, bewerbe mich, komme ins Gespräch und bin dann vielleicht so beeindruckt, dass ich mich doch für den Job interessiere.

Vielleicht stammt das noch aus so altertümlichen Industriezeitaltern, dass man nicht über Geld spricht, dass das so ein Tabu-Thema ist, das ja nicht zu groß plakatiert wird.

Selma Kuyas,  LinkedIn Top Voice 2020 und 2022 in der Kategorie Führungskräftecoaching und Karriereberatung

Ein weiterer Grund ist natürlich, Personalkosten herunterzuhandeln. Wenn man nichts sagt und in die Verhandlung geht, kann man natürlich Poker spielen und schauen, nimmt der*die es an, oder nicht. Wenn du zwei Kandidat*innen hast, mit gleichen Qualifikationen, wirst du den*die nehmen, der*die weniger Geld will. Niemand lässt sich heute von Stelleninseraten begeistern, in denen beispielsweise faire Entlohnung, marktgerechte Bezahlung steht. Das sind Floskeln, die nichts aussagen. 2022 gehört für mich eine Gehaltsrange mit rein.

Der Jobmarkt entwickelt sich immer mehr hin zum Bewerber*innenmarkt. Müssen Unternehmen damit rechnen, dass Arbeitnehmer*innen mehr Gehalt verlangen?

Ja, in der Tat ist jetzt ein guter Zeitpunkt, das Gehalt neu zu verhandeln. Aus verschiedenen Gründen. Einerseits haben wir eine Inflation. Wir haben Lebenshaltungskosten, die enorm steigen. Plus, in vielen Branchen herrscht Fachkräftemangel. Das heißt, wenn man seinen Job gut gemacht hat und beweisen kann, dass man dem Unternehmen etwas bringt, dann hat man eine gute Verhandlungsbasis. Ich würde sowieso allen Fach- und Führungskräften ans Herz legen, mindestens einmal im Jahr ums Gehalt zu verhandeln. Das machen vor allem die Frauen quasi nie. Die warten immer, dass man kommt und ihnen eine Gehaltserhöhung anbietet. Nein, das wird nicht passieren. Das muss jeder einmal im Jahr proaktiv tun.

Ich würde besonders Frauen zu Beginn raten, in der Gehaltsverhandlung 20 Prozent mehr zu verlangen als sie eigentlich wollen. Denn das sind die 20 Prozent, die den Gender Pay Gap ausmachen.

Selma Kuyas

Natürlich, die wenigsten Unternehmen werden dort darauf einsteigen, aber in dem man die Messlatte schon recht hoch gelegt hat, ist die Chance recht groß, dass man trotzdem als Gewinnerin aus der Gehaltsverhandlung rausgeht. Was man auch bedenken muss, es muss nicht immer Geld sein, das man verhandelt. Das bedeutet, wenn man jetzt in einem Vorstellungsgespräch ist und das Gehalt wirklich an der Schmerzgrenze liegt, dann kann man andere Dinge verhandeln. Wie Kita-Zuschüsse, oder Kostenbeteiligung am Gym-Abo oder der Öffi-Jahreskarte.

 

Gibt es etwas, das man nicht verhandeln sollte?

Man will ja mit seinem Gehalt seine Lebenskosten decken und noch etwas on top machen. Diese untere Grenze muss fix sein. Das muss man mit sich selbst ausmachen. Es gibt Gehaltsrechner, wo man sich informieren kann, man kann sich im Netzwerk austauschen, mit Personen, die in einer ähnlichen Position sind. Einfach Informationen sammeln, was üblich wäre für diese Stelle und was meine persönliche untere Grenze ist.

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StepStone-Tipp


Für mehr Transparenz beim Thema Gehalt in Österreich bietet der StepStone-Gehaltsreport eine umfangreiche Liste der Durchschnittsgehälter von Fach- und Führungskräften unterschiedlicher Branchen, Berufsfelder und Regionen.  
Zum Gehaltsreport für Österreich

 

 

(c) Corinne Altieri

Selma Kuyas ist Expertin für Bewerbung und Selbstmarketing. Dabei hilft sie Menschen erfolgreich, ihren Traumjob zu erhalten und die „Marke Ich“ gekonnt einzusetzen. Außerdem wurde sie 2020 und 2022 zur LinkedIn Top Voice in der DACH-Region für die Kategorie Führungskräftecoaching und Karriereberatung ausgezeichnet.

linkedin.com/in/selmakuyas
selmakuyas.com

https://www.stepstone.at/e-recruiting/blog/Das Interview führte Nicole Inez Fuchs.
Bild: (c) Corinne Altieri

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