„Arbeitgeber brauchen Ecken und Kanten“

Employer-Branding-Experte Daniel Hauser über den weltweiten “Post-Covid-Rekrutierungsrausch”, inwiefern hohe Einstiegsgehälter dem Markt mehr schaden, als sie nützen, und warum die Lage dennoch nicht aussichtslos ist.

 

Was beschäftigt aktuell den Talentmarkt?

Wir bewegen uns gerade in einer sehr interessanten Zeit – besonders in der DACH-Region –, was das Verhältnis Arbeitgeber und Arbeitnehmer*innen betrifft. Auf der Arbeitgeberseite konnten wir beobachten, wie zu Beginn der Covid-Pandemie der Sicherheitsfaktor einen starken Stellenwert besetzte. Die Personalstrategie musste vielerorts neu ausgerichtet werden. Dieser Trend scheint jetzt vorbei zu sein und Personaler*innen haben die Pandemie anscheinend für tot erklärt.

Der Markt nimmt gerade so viel Schwung auf, dass wir z.B. bei unserem Mutterunternehmen StepStone sehen konnten, dass bereits im ersten Quartal 2022 beinahe doppelt so viele Stellen in Österreich ausgeschrieben wurden wie im zweiten Quartal 2020. Diesen Trend sehen wir aktuell nicht nur in Österreich, sondern in zahlreichen europäischen Ländern. Es scheint so, als ob die Unternehmen trotz anhaltender wirtschaftlicher Unsicherheit in eine Art „Post-Covid-Rekrutierungsrausch” verfallen und sämtliche Anstellungen, die über die letzten Jahre ausgelassen wurden, nachholen wollen.

 

Es scheint so, als ob die Unternehmen trotz anhaltender wirtschaftlicher Unsicherheit in eine Art „Post-Covid-Rekrutierungsrausch” verfallen und sämtliche Anstellungen, die über die letzten Jahre ausgelassen wurden, nachholen wollen.

Daniel Hauser, Employer-Branding-SPECIALIST Universum

Diese euphorische Nachfrage trifft allerdings auf ein sehr limitiertes Angebot auf Arbeitnehmer*innen-Seite. Niedrige Arbeitslosenzahlen, der unveränderte Fachkräftemangel, Konkurrenz und ein Überangebot an offenen Stellen sorgen dafür, dass Unternehmen bereits nach kurzer Zeit ihre Ziele im Talentmarkt überdenken müssen. Dies kann man besonders gut in unserer aktuellen EB-Now-Studie sehen: Mehr als die Hälfte der weltweit befragten Expert*innen gaben an, dass die Rekrutierungsbedürfnisse im Vergleich zum Vorjahr ansteigen werden, in Österreich rechnen sogar 57 % damit.

 

Wo führt das hin, was erwartet Recruiter und Unternehmen in den kommenden Monaten?

Wir haben die Frage den Recruiter*innen selbst gestellt und 70 % der Expert*innen weltweit sind sich sicher, dass es in den kommenden 12 Monaten noch schwieriger werden wird; in Österreich sind es 71 % und unter den weltweit attraktivsten Arbeitgeber*innen (WMAE) sogar 81 %, die Schwierigkeiten auf sich zukommen sehen. Noch nie in der achtjährigen Geschichte dieser Umfrage waren sich die Expert*innen so einig darin, dass ihr Business zunehmend zur Herausforderung wird.

Gerade Kandidat*innen aus dem technischen Bereich (inkl. IT), dem Vertrieb, der Personalbeschaffung sowie der Pflege sind besonders gefragt, aber rar gesät. Dies merken wir auch an den Anfragen unserer Kund*innen. Strategische Projekte, wie Arbeitgebermarkenentwicklung, externe­ Umfragen sowie die Entwicklung von Kommunikationsstrategien, treffen auf eine hohe Nachfrage.

 

Wie kommen Unternehmen dennoch an die benötigten Talente?

Würde ich hierzu eine direkte Antwort wissen, insbesondere bei der Zielgruppe IT, wäre ich vermutlich bereits im Ruhestand. Es handelt sich um einen Markt, der sich im Moment klar auf der Arbeitnehmer*innenseite bewegt. Somit wird es immer schwieriger, Talente über die bisher gängigen Kanäle zu erreichen.

Gerade bei den Studierenden sehen wir beispielsweise in der Schweiz einen Rückgang an Bewerbungen von 4 bis 6 %. Ich vermute, die Umfragewerte für Österreich in unserer 2022-Studierenden-Studie werden ähnlich sein. Insbesondere bei Studierenden empfiehlt es sich, die Uni- und Hochschullandschaft noch einmal genau zu prüfen und eventuell kleinere Unis und FHs anstatt der Elitehochschulen in Betracht zu ziehen.

Ein weiterer Schlüssel könnte die Diversifizierung des Talentpools sein. Gerade Freiberufler*innen, Teilzeitkräfte oder sogenannte Boomerang-Mitarbeiter*innen sollten in der Strategie berücksichtigt werden. 38 % der globalen Unternehmen ziehen dies bereits in Erwägung bzw. haben es bereits implementiert und gerade Österreich ist mit 47 % bereits stark involviert. Eine weitere Thematik ist die interne Mobilität von Mitarbeiter*innen. Es geht darum, die bestehenden Arbeitskräfte weiterzuentwickeln, um strategisch wichtige Positionen intern besetzen zu können. 24 % der Befragten in Österreich sahen dies als Top-Priorität und 58 % streben hier allgemeine Verbesserungen an.  

Wenn wir zusammenfassend die Situation betrachten, sehen wir also eine hohe Nachfrage, die auf ein recht limitiertes Angebot trifft. Ein solcher Arbeitnehmer*innenmarkt sorgt für viel Stress in den Personalabteilungen.

Daniel Hauser

Wie überzeuge ich Talente dennoch, für mich zu arbeiten? Ist mehr Gehalt der Schlüssel?

Manche sehen das als die Lösung an, der Stress, Positionen zu besetzen führt dazu, dass häufig schnelle und teilweise nicht durchdachte Lösungen implementiert werden. Eine einfache und schnelle Lösung ist z. B. der monetäre Anreiz. Eine Strategie, die gerade größere Unternehmen verfolgen, die aber für viele KMUs absolut nicht denkbar ist. Und ich halte sie auch nicht unbedingt für sinnvoll. Ein Resultat davon haben wir für 2022 in Deutschland und der Schweiz gesehen, wo die durchschnittlichen Erwartungen für Einstiegsgehälter bei Studierenden weiter angestiegen sind. Dieses Hochtreiben der Gehälter ist in meinen Augen weder nachhaltig, noch zukunftsorientiert und schadet dem Markt mehr, als es Vorteile bringt.

 

Die Lage wirkt ja ziemlich hoffnungslos!

Keineswegs, es gibt Hoffnung. Wir sehen zum Beispiel, dass viele Attribute, die bei der Arbeitgeberwahl besonders wichtig sind, sich abseits des monetären Rahmens bewegen. Bei unseren Studien in diesem Jahr sehen wir bei Themen wie der Work-Life-Balance und den flexiblen Arbeitsbedingungen einen klaren Trend. Covid hat uns gezeigt, dass Flexwork möglich ist, und wir sehen bereits in den ersten Erhebungen, dass dies auch weiterhin gewünscht wird. 61 % aller Studierenden in Deutschland und auch in der Schweiz sind daran interessiert, remote zu arbeiten. Das Interesse ist dabei bei Frauen sowie Männern gleich groß. In Deutschland geht die Tendenz eher zu drei Tagen Homeoffice pro Woche im Schnitt, in der Schweiz zu zwei Tagen. Dies unterscheidet sich aber auch sehr stark nach Studienrichtung und der Versuch z. B. eine*n IT-Spezialisten*Spezialistin, ohne diese Option zu rekrutieren, hätte eine sehr geringe Erfolgschance.

Eine Herausforderung, die ich hier immer wieder sehe, ist die Anpassung der internen Prozesse an diese neuen Gegebenheiten. Besonders das Management ist hier gefragt und muss einen Weg finden, sodass Mitarbeiter*innen, die diese Option gerne nutzen möchten, nicht in ihrer Karriere nachteilig behandelt werden oder den sozialen Anschluss verlieren. Ein Unternehmen muss also nicht zwangsweise in das monetäre Rennen einsteigen, sondern vielmehr seine Stärken und Schwächen gekonnt ausspielen, um sich differenzierend auf dem Markt zu positionieren.

 

Wie kann sich ein Arbeitgeber differenzieren und warum sind diese Ecken und Kanten besonders wichtig bei der Talentgewinnung?

Genau diese Frage bzw. Fragen in einer ähnlichen Formulierung bekomme ich beinahe täglich von meinen Partnern*innen gestellt. Genau hier ist meine Empfehlung immer ein klarer strategischer Ansatz, denn eine „one size fits all“-Lösung gibt es nicht. Sobald ein Unternehmen seine Geschäftstätigkeit aufnimmt, wird es, ob man es möchte oder nicht, mit gewissen Attributen assoziiert und eine Arbeitgebermarke entsteht. Diese zu seinem Vorteil zu nutzen und den richtigen Talentpool anzusprechen ist eine der wichtigsten Aufgaben des Employer Branding. Gerade dieser Bereich nimmt aktuell einen sehr hohen Stellenwert ein und 70 % der globalen Expert*innen im Personalbereich sehen es als eine der Top-Prioritäten für 2022 (65 % im Jahr 2021), in Österreich sind sogar 91 % überzeugt, dass Employer Branding hohe Priorität hat. Es ist selbstverständlich jedem Unternehmen selbst überlassen, wie es sich auf dem Markt präsentiert, aber eine generisch gehaltene Arbeitgebermarke spricht nur in den seltensten Fällen das Talent an, das man aktuell und zukünftig benötigt. Gerade in Branchen mit einem akuten Personalmangel empfiehlt sich so ein strategischer Ansatz mit dem Ziel der Differenzierung, und die Vorteile überwiegen ganz klar das investierte Budget.

 

Hast du ein Beispiel?

Nehmen wir das Beispiel von Apple und dem iPhone her. Betrachtet man lediglich die technischen Spezifikationen eines iPhones und vergleicht es mit den gängigen Konkurrenzprodukten, fällt einem ziemlich schnell auf, dass das Preis-Leistungs-Verhältnis absolut unvorteilhaft für das Apple Produkt ausfällt. Dennoch hat Apple es geschafft, das Produkt so einzigartig auf dem Markt zu platzieren, dass diese Nachteile kaum mehr Beachtung finden und die Vorteile wie z. B. die Benutzeroberfläche das Verhältnis wieder relativieren. Für ein Unternehmen bedeutet das:

 

Die eigenen Stärken und Schwächen müssen gekannt und zum eigenen Vorteil genutzt werden, um das richtige Publikum anzusprechen. Jedes Unternehmen verfügt über diese einzigartigen Ecken und Kanten. Die Schwierigkeit liegt oftmals darin, diese herauszufiltern und auf dem Markt zu präsentieren.

Daniel Hauser

Eine teure Marketingkampagne kann sofort verpuffen, wenn dahinter kein strategisches Fundament gesetzt ist. Ich empfehle immer einen datengetriebenen Ansatz und weltweit tendieren immer mehr Unternehmen ebenfalls dazu. Bereits 50 % der Großunternehmen arbeiten regelmäßig mit Datensätzen, um ihre Employer-Branding-Aktivitäten effektiver zu gestalten.

Diese Daten sollten intern und extern erhoben erhoben werden. Damit sollte das Ziel verfolgt werden, eine authentische, attraktive und differenzierende Arbeitgebermarke zu kreieren. Mit dieser Basis steht einem erfolgreichen und zukunftsorientierten Employer Branding nichts mehr im Weg.

 

Daniel Hauser von Universum ist zuständiger Partner für Österreich und die Schweiz. Als Berater und Projektmanager hat er bereits sehr viele Kund*innen unterschiedlichster Branchen erfolgreich im Talent Management (Employer Branding & Rekrutierung) beraten.

Über die Studie: 
Employer Branding NOW 2022 | Rekrutierungsmarketing in der Krise
Für die diesjährige Universum-Umfrage wurden mehr als 1.650 Personalverantwortliche aus 75 Ländern dazu befragt, wie sie inmitten eines kritischen Arbeitskräftemangels konkurrieren und welchen Stellenwert Recruiter*innen dem Employer-Branding-Management zusprechen. EB-NOW zeigt auf, wie sich Employer Branding im letzten Jahr verändert hat und vergleicht dabei kleine Unternehmen mit großen Konzernen. Außerdem bietet die Studie Einblicke in die spezifischen Strategien und Best Practices der attraktivsten Arbeitgeber*innen der Welt. 
 Zeitraum der Umfrage: März 2022 – Mai 2022 
1.656 Befragte aus 75 Ländern 
In Österreich haben 93 Personalverantwortliche teilgenommen.
Hier geht’s zum kostenlosen eBook

 

Text: Gloria Csiszer

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